Virus Sars-CoV-2 und die Philosophie?

Zeit zum Nachdenken. Eine Gelegenheit, grundsätzliches und langfristiges Tun zu reflektieren. Vielleicht gibt es dadurch auch die Chance, sich endlich und wirklich ernsthaft mit einer Veränderung unserer Wirtschaftsweise und unserem Verhältnis zur Natur zu beschäftigen.

Virus: ein Zwischending (-wesen?) der Evolution vom Unbelebten zum Organischen. Viren sind nicht fähig, sich außerhalb einer Wirtszelle zu vermehren, also angewiesen auf eine – erzwungene – Allianz mit Lebendigem. Da sie selbst keinen Stoffwechsel haben, können sie aber auch ohne diesen überdauern.

Quasi Totes, das nur in einer Symbiose, die unter Umständen die Existenz des Wirtes gefährdet, sein Vermehrungsstreben realisieren kann.

Ein unheimlicher Mitbewohner auf diesem Planeten. Selbst die zahlreichsten Bewohner dieser Erde, die Bakterien, werden von ihm befallen und benutzt.

Das Virus ist die personifizierte Negativität dessen, was man als Bewegung im »Frontraum der Materie« verstehen könnte.

Frontraum? Genau, damit wären wir bereits mitten in der Philosophie von Ernst Bloch gelandet.

Bloch versteht diese Welt-Materie als unfertige. Bedeutet, im Gegensatz zur herkömmlichen Sicht umgibt uns keineswegs eine bereits gefügte Struktur, deren Bestandteile wir nur noch nicht vollständig erkannt haben, und aus deren Bausteinen wir neue Produkte kombinieren können, sondern diese unsere Umgebung – und auch wir selbst – sind als Prozess zu begreifen, der noch keineswegs zu Ende ist. Im Gegenteil: weil noch nichts endgültig entschieden ist, ist es in unsere Hände gelegt, daran zu arbeiten, dass es gut ausgeht. Wir befinden uns also an der Front (im Front-Raum) eines Geschehens.

Unser ausbeuterisches Verhalten gegenüber Umwelt und Natur zerstört langfristig die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten.

Unser Stoffwechsel ist sozusagen toxisch. Abfälle, Klimagifte, Gifte und auch viele von uns erfundene und produzierte Stoffe sorgen für die Abnahme der Diversität von Lebensformen und schränken mittlerweile auch unseren eigenen Aktionsradius ein.

Maßgeblich für das Beibehalten der destruktiven Bewegung des Immer-weiter-so und des Immer-Mehr ist die Antriebskraft der Kapitalverwertung. Aus dem Tauschmittel Geld wurde das überall wirkende und nach Vermehrung strebende automatische Subjekt Kapital (Marx).

Alles wird eingepreist und diesem Zwang unterworfen: es muss sich rechnen…

Bitte beachten: ES (offensichtlich ein Subjekt) muss (Zwang) sich (es rechnet wohl selbst?) rechnen. Was sich rechnet,  ist das in sich selbst und mit sich selbst verkehrende Geld. Kapital eben. Geld das SICH selbst vermehrt, Geld heckendes Geld (Marx).

 

Um diesen destruktiven Zwang zu durchbrechen, bedarf es einer fundamentalen Änderung unserer derzeitig vorherrschenden Produktions- und Herrschaftsverhältnisse. Dazu gehört auch unser Verhältnis zur Natur, das Ernst Bloch hin zu einer Natur-Allianz entwickeln möchte. Eben als Kooperation mit und in der Natur, der auch eine Eigenaktivität zugeschrieben werden könnte. Dieses – hypothetische –  Natur-Subjekt wartet noch auf unsere Zuwendung und Mitarbeit. Verstehen wir uns selbst auch als Bestandteil und Mitakteur, könnte es zu einem anderen Bewusstsein – auch von uns selbst – führen, und natürlich auch zu einem neuen Denken, einer neuen Wissenschaft und einer darauf aufbauenden neuen Technologie kommen. Einer Technik, die nicht extraktiv, destruktiv und gewalttätig mit den Ressourcen umgeht.

Insofern ist die Frage nach unserem Materie- und Selbstverständnis auch eine Frage der Praxis.

Um anders zu denken, zu forschen und auch zu handeln, benötigen wir allerdings eine andere Ordnung unserer Gesellschaft. Echte Demokratie, Hierarchiefreiheit, Beseitigung der Unterdrückung von Mensch und Natur. Allianztechnik im Denken, Produzieren und Handeln.

Die uns umgebende Natur ist keineswegs per se sanft und uns zugewandt, das Coronavirus zeigt dies deutlich an. Es ist nicht ausgemacht, wie sich Natur verhält, der angestrebte Frieden muss von uns und durch uns erzeugt werden.

Die derzeit weltweit mögliche und auch realisierte Bewegung gegen diesen »Feind« setzt enorme Energien frei. Ohne Widerspruch wird diese Anstrengung gegen das Virus möglich.

Wir sollten dies aufmerksam notieren und festhalten: es geht eine ganze Menge. Die aufgewendete Energie steht also zur Verfügung.

Jetzt kommt es darauf an, diese zu konservieren und für einen wirklich solidarischen Einsatz zur Änderung der Verhältnisse wach zu halten.

Das nächste und eigentlich uns alle gefährdendste Virus ist: das Kapital, »das unendliche Verderben der Geldwirtschaft.«[1]

Nochmal: Viren sind nicht fähig, sich außerhalb einer Wirtszelle zu vermehren, also angewiesen auf eine – erzwungene – Allianz mit Lebendigem. Da sie selbst keinen Stoffwechsel haben, können sie aber auch ohne diesen überdauern.

Kapital ist derartig Totes, das nur in einer Symbiose, die unter Umständen die Existenz des Wirtes gefährdet, sein Vermehrungsstreben realisieren kann. Dagegen hilft nur radikales Umsteuern.

Angesichts der aktuell möglichen Aufwendungen soll keiner sagen, es geht nicht.

Corona capitalis wartet auf unsere Gegenwehr.

An die Arbeit…

 

[1] Ernst Bloch, Geist der Utopie (erste Fassung 1918) GA 16 ,Frankfurt/M.1977, S.410.  Abbildung ®Spiegel-Online